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Strategiediskussion
 

Löhne, Steuern, Gerechtigkeit

Eine gesellschaftliche Alternative – erste Schritte

 

Von Klaus Buschendorf

Vorwort

Die linke Bewegung braucht eine Alternative zum heutigen Kapitalismus. Karl Marx war der erste Philosoph, der meinte, dass der Kapitalismus zum Wohle der Menschen überwunden werden muss. Er sprach davon, der Schlüssel dazu sei die Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Seine Ideen führten zur Oktoberrevolution in Russland. Doch Karl Marx hätte sich wahrscheinlich im Grabe herum gedreht, hätte er ihre Folgen erlebt. Denn die Menschen, die sich seinen Ideen verpflichtet fühlten, blieben bei der Verstaatlichung der Produktionsmittel stehen. Das hatte fatale Folgen. Was geschah?

Andre Kostolany, der Börsenguru des 20. Jahrhunderts, antwortete einmal auf die Frage: Warum gibt es in sozialistischen Ländern keine Börse? „Weil es in jedem dieser Länder nur einen Kapitalisten gibt, einen Monokapitalisten. Das ist der jeweilige Staatschef.“ (sinngemäß entnommen aus „Der große Kostolany“ Econ-Verlag ISBN 3-612-26708-6) Verfolgt man diese (zugegeben außergewöhnliche) Feststellung weiter, sieht man überraschende Übereinstimmungen zwischen einer Konzernstruktur und den Strukturen der Staaten der ehemaligen „sozialistischen Staatengemeinschaft“. Das Politbüro glich dem Aufsichtsrat, das übrige Zentralkomitee und die Regierung dem Vorstand. Die „Partei der Arbeiter und Bauern“ entsprach der Marketing-Abteilung, und die Bevölkerung des Landes ist ausnahmslos die Belegschaft eines solchen Super-Staatskonzerns. Was folgt? Nach 70 Jahren Sowjetunion (dem größten „Global Player“, den es je gab) und 40 Jahren „Volksdemokratien“ brechen diese Super-Staatskonzerne zusammen. Warum?

Gehen wir zurück in die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Damals entstand mit den IG Farben der größte „privatkapitalistische“ Konzern der Welt. Doch seine Führungskräfte merken: Es knirscht im Getriebe. Sie entschließen sich, den Konzern zu halbieren: Alles richten sie zweimal ein und lassen die Teile unter Aufsicht Wettbewerb gegeneinander führen. Sie achten dabei auf Chancengleichheit. Das „Knirschen“ hört auf. (Der II. Weltkrieg beendet unabhängig davon die Existenz der IG Farben.)

Vor einigen Jahren träumte ein Konzernlenker in Deutschland den Traum eines weltbeherrschenden Autokonzerns. Vorbei – Daimler-Chrysler trägt noch den neuen Namen, doch es ist wieder der alte Mercedes-Benz-Konzern, der unter dem neuen Namen firmiert. Alle drei Ereignisse (der Zusammenbruch „sozialistischer“ Staaten, die IG Farben-Erfahrung und der missglückte Traum eines Weltautobauers) lehren eine Konsequenz: Konzerne haben eine optimale Größe. Wachsen sie darüber, folgt Zusammenbruch oder Rückzug.

Kehren wir zurück zur „Vergesellschaftung“ der Produktionsmittel. Es gibt die verschiedensten Vorstellungen, was darunter zu verstehen sei. Sie alle haben etwas Nebulöses an sich und erinnern den normalen Bürger an Fantastik. Gehen wir von einer anderen Erkenntnis aus, dass sich alles Neue im Schoße des Alten vorbereitet. Die Kunst ist, diese Keime des Neuen zu erkennen. Aber bei diesen Versuchen spielen subjektive Faktoren eine große Rolle. Doch geht es auch noch anders. Schauen wir, welche Tagesprobleme stehen, und wie wir diese einbinden können in die Ziele unseres Handelns. Drei Problemkreise bewegen alle Bürger:

1. das Steuersystem,
2. das Lohn- und Tarifsystem,
3. die Kompliziertheit der Gesetze
Heute kommen immer mehr Sorgen vor Armut und Krankheit hinzu.

Der nachfolgende Text will diese Problemkreise mit Zielen einer Veränderung der Gesellschaft zum Wohle der Menschen verbinden. Dabei ergeben sich oftmals gedanklich sehr einfache Lösungen. Sie zu erreichen, wird aber gar nicht einfach sein. Um die ersten Schritte zu tun, ist es zweckmäßig, langfristige Zielvorstellungen zu haben. An der Erarbeitung solcher Zielvorstellungen will der nachfolgende Text sich beteiligen.

Überlegungen zu Inhalt und Strategie

Wir sollten nicht nur über die Abwehr der Agenda 2010, Hartz IV und ihrer Folgen reden und Aktionen dazu führen. Dies ist eine Verteidigungsstrategie, bei deren Durchführung wir uns dort freuen, wo es gelang, die Angriffe des Neoliberalismus in ihrer Wirksamkeit zu mindern. Dauerhafte Erfolge werden wir so nicht erzielen. Wir müssen diese Gesellschaft verändern. Sonst bleibt alles Stückwerk, was wir tun.

Wie schlecht es den Arbeitenden (und gezwungenermaßen Arbeitslosen) dieser Gesellschaft geht, darüber soll hier nicht gesprochen werden. Eine neue Gesellschaft ist nötig, wenn die Menschheit als Ganzes überleben will. Ihre Grundzüge und wie sie zu erreichen sind, soll hier überlegt werden.

Wir müssen nicht bei Null anfangen. Es hat Versuche gegeben, eine neue Gesellschaft zu schaffen. Diese sind 1990 gescheitert. Eine Analyse der Ursachen las ich nie bei linken Autoren. Neoliberale Kräfte sind schnell fertig mit ihrem Urteil: Diktatur. So einfach ist es nicht.

Was war am „real existierenden Sozialismus“ zu bemängeln?

  1. Das sogenannte „Volkseigentum“ war in Wahrheit Staatseigentum, genau betrachtet „Parteieigentum“ der den Staat dominierenden Partei.
  2. Die  Aufhebung des „antagonistischen Klassengegensatzes“ durch „Abschaffung der Ausbeuterklasse“ widerspricht dem Grundprinzip der Dialektik.

Die Dialektik hat zum Inhalt, dass Entwicklung durch die Einheit und den Kampf der Gegensätze entsteht. Der „real existierende Sozialismus“ hat eine Seite dieser Einheit aufgehoben, die Seite „Reich“ (wenn man die volkstümlichen Bezeichnungen „Reich“ und „Arm“ wählt). Damit war jeder Weiterentwicklung der Boden entzogen. Er konnte nicht erfolgreich sein.

Mit dieser knappen Beurteilung wollen wir es belassen. Welche Folgerungen ergeben sich?

  1. Wir müssen „Reichtum“ (die „Ausbeuterklasse“) nicht abschaffen. Reichtum muss in gesellschaftliche Verantwortung eingebunden werden. Er darf nicht Selbstzweck sein.
  2. Daraus folgt, dass Reichtum Grenzen und Ziele haben muss. Sein für die Gesellschaft nützliches Maß kann nur durch den Staat gewährleistet werden.
  3. Der heutige Staat erfüllt diese Aufgabe nicht. Im Gegenteil erfüllt er mit Privatisierungen staatlicher Aufgaben die Verselbstständigung des Reichtums.

Heute erfolgt ein breiter Angriff auf die Seite „Arm“ des dialektischen Widerspruchs zwischen „Arm“ und „Reich“. Aus der Unmöglichkeit des Erfolgs folgen die heutige prekäre Lage der Unterschicht und die Gefahren für die menschliche Umwelt. Die Perspektive ist eine gewaltsame soziale Umwälzung auf Kosten aller Beteiligten (Historisches Beispiel: Französische Revolution von 1789). Der Neoliberalismus hat heute also keine andere logische Perspektive als der vergangene „real existierende Sozialismus“.

Die Linke sollte sich der Aufgabe stellen, dieses Szenario zu vermeiden. Wie kann das geschehen?

  1. Es müssen Perspektiven der Gesellschaft überlegt werden, die alle Schichten der Gesellschaft einbeziehen, ohne dass einige davon Schaden haben. Unter den heutigen Bedingungen haben den Schaden nur „Arme“.
  2. Es muss klar sein, dass mit Einsicht allein nicht viel erreichbar ist. Kurzfristige Gewinninteressen werden ohne äußere Einflussnahme im Denken der Akteure langfristige Einsichten zurückdrängen. Um gesellschaftlich, langfristig Notwendiges zu erreichen, muss außer Aufklärung und Bildung auch gesellschaftlicher Druck auf widerstrebende Gruppen ausgeübt werden. Gewohnheiten sind zählebig. Sie sind nur zu überwinden im Zusammenspiel von Überzeugung und Konsequenz.
  3. Unter Berücksichtigung dieser beiden Prämissen können alle Menschen bis hin zu den „Superreichen“ angesprochen werden, an einem solchen Modell mitzuwirken.

Das verlangt viel Eingehen auf die Befindlichkeiten des Anderen und ist im heutigen Klima der „Selbstverwirklichung“ dem Europäer ungewohnt. Die europäische Tradition verlangt Sieger und Besiegte. Dieser Vorschlag beinhaltet dagegen, gemeinsam zu Einsichten zu gelangen, und die Welt gemeinsam für alle Menschen gut bewohnbar zu gestalten. Gegen diese Auffassung wird sich sofort das Vorurteil erheben, dass dies eine naive, illusionäre Vorstellung sei. Für das Vorurteil spricht, dass es in der europäischen Geschichte nicht üblich ist, sich solcher Perioden zu erinnern. Denn im Lehrplan der Schulen stehen vor allem Schlachten, Kriege und Revolutionen. Dass Veränderungen in Europa auch unspektakulär vor sich gegangen sind – wer weiß das schon?

Nach dieser Vorrede möchten wir ein Konzept vorstellen, dem unter den genannten Prämissen alle gesellschaftlichen Schichten zustimmen könnten, ohne Schaden zu erleiden.

Von den heute Herrschenden (damit sind nicht die Regierenden gemeint, die ja nur in deren Auftrag agieren) würde allerdings verlangt werden, einen Großteil ihrer Macht abzugeben. Einen Schaden hätten sie nicht. Ob sie diesen Machtverzicht freiwillig hinnehmen, muss sich erst erweisen. Das Volk, oder die „Seite Arm“, muss bereit sein, die Einsicht durch Konsequenz zu erzwingen. Wie weit sie gehen muss, hängt von der „Seite Reich“ ab.

Der zentrale Veränderungspunkt ist das Steuersystem. (Vorausschicken möchte ich, dass dieses Konzept im Laufe des Jahres 2005 erarbeitet wurde. Es wurde grob anhand volkswirtschaftlicher Daten des Jahres 2003 überprüft. Rein rechnerisch wäre es sofort umsetzbar.) Ein Staatswesen beansprucht zu seinem Erhalt ein Fünftel des erarbeiteten Bruttoinlandsprodukts. Der Staat braucht ein Fünftel, also soll er überall dort, wo Geld verdient wird, ein Fünftel erhalten. Wir organisieren das ganz einfach:

  1. Jeder Betrieb zahlt 20% Steuern vom Gewinn (Gewinnsteuern).
  2. Jeder Bürger zahlt von seinem Lohn 20% Lohnsteuern.
  3. Jeder Verkäufer bei einem Finanzgeschäft, Warentermingeschäft u.a. (an der Börse, Immobilienverkäufe usw.) zahlt mit Abschluss 20% Gewinnsteuer.

Bis auf die Vermögenssteuer schaffen wir alle anderen Steuern ab.  Somit erhält der Staat etwas mehr als heute (die Vermögenssteuer käme hinzu), aber mit weniger Aufwand und durchsichtig für jeden. Subventionen sind vorher eingenommene Steuern. Diesen Umweg beseitigen wir. Wo der Staat fördern will, erlässt er Steuern, ganz oder teilweise, aber immer befristet.

Wir wollen, dass es unseren Betrieben gut geht, sie sind unsere Lebensgrundlage. Verluste werden sich nie vermeiden lassen, dann bezahlen die Betriebe keine Steuern. Aber wir brauchen einen Anreiz für die Menschen, die den größten Einfluss auf Gewinn und Verlust haben. Deshalb sollten unsere Volksvertreter beschließen: In Betrieben mit Verlust werden alle Löhne auf maximal 5.000 Euro/Monat im Folgejahr gekappt. Das wird hinfällig, erzielt der Betrieb wieder im Jahr darauf Gewinn.

Wir wollen, dass gerecht entlohnt wird und Lohn ein Leben in Würde garantiert. Dazu bestehen wir auf  Grenzen, auf Mindest- und Maximallohn. Der Mindestlohn sollte 30% (netto) über der Grundsicherung liegen, der Maximallohn das Zwanzigfache des Durchschnittslohns vom jeweiligen Betrieb betragen. Für Selbständige, Künstler, Politiker u.a. sollte der Durchschnittslohn des Landes Bezugsgröße sein. Damit folgen wir Johannes Rau, Exbundespräsident. Er fand die Bezüge von Vorständen zu einer Zeit, als sie das 20fache betrugen, für angemessen. Das war so in der „Bonner Republik“, unmittelbar vor der „Wende“ in der DDR. Zu seiner Regierungszeit betrugen sie das 120fache. Das fand er „unanständig“. Wir auch. Denn wir finden, dass ein Maximallohn, der das 20fache eines Durchschnittslohnes beträgt, dem Leistungsgedanken Rechnung trägt. (Übrigens: Beim Weltkonzern „Toyota“ ist das heute  gängige Praxis!)

Mit 20% Gewinnsteuern auf alle Finanzaktionen an der Börse wollen wir den Konkurrenzkampf auf wirklichen Wettbewerb zurück führen. Denn: „Feindliche Übernahmen“, Insolvenzen auf Grund von „Verdrängungswettbewerb“ sind nicht im Sinne der Menschen, die dort arbeiten (auch nicht im Sinne der Kunden, denn mit besserer Qualität der Produkte hat das nichts zu tun).

Was bedient der Staat aus seinen Steuern?

Das wichtigste Gut sind unsere Kinder. Wir fördern den Wunsch nach Kindern durch Steuererlass und günstige Startbedingungen für junge Eheleute. Für diese Absicht öffnen wir unser strenges System für Ausnahmen:

Verheiratete Paare zahlen nur 10% Lohnsteuer, jedes Kind bedeutet 5% Steuererlass. Kindergeld wird gezahlt an Vater und Mutter. Das bekommt jeder für sich angerechnet, wie man als Paar lebt, ist Sache des Einzelnen, nicht des Staates. Junge Eheleute erhalten einen zinslosen Kredit, z.B. 5.000, - €, pro Kind werden 1.000, - € erlassen. Studenten erhalten für eine Regelstudienzeit ein Staatsstipendium, damit sie schnell der Wirtschaft (mit spätestens 25 Jahren) zur Verfügung stehen. Dafür erhält der Staat mehr Einfluss auf ihren Einsatz nach dem Studium. Kinderkrippen, -gärten, Hort und Schule unterhält der Staat ohne Beitrag der Eltern.  

Das zweite wichtige Gut ist die Kultur, das dritte die Forschung, als letztes steht Infrastruktur und Verkehr. Wir fördern Existenzgründer und den Mittelstand.

Solange die Gesellschaft nicht jedem einen Arbeitsplatz garantieren kann, bedarf es einer Grundsicherung. Diese sollte nur an eine Bedingung geknüpft sein: Der Empfänger hat keinen Arbeitsplatz. Sie wird aus Steuermitteln gezahlt. Dafür kann die heute übliche Arbeitslosenversicherung wegfallen oder individuell vorgesorgt werden.

Wie wird verteilt? Pro Kopf des Landes, Kreises usw. Das regt an, die eigene Bevölkerung im Land zu halten, für Zuziehende attraktiv zu werden und entspricht dem Grundgesetz, gleiche Lebensbedingungen anzustreben.

Auch unser Sozialsystem könnte so einfach gestaltet werden. Überall, wo Gewinnsteuer/Lohnsteuer erhoben wird, werden noch 10% in das Sozialversicherungssystem gezahlt. Das kann eine einzige Kasse leisten. Sie kann mit diesem Einkommen Gesundheits- und Rentenkosten zahlen. Sie sollte auch Eigentümer aller Krankenhäuser werden  und sie betreiben.

Wir wollen vereinfachen. Wir heben alle rechtlichen Unterschiede auf zwischen Arbeitern, Angestellten und Beamten. Der Staat verzichtet bei seinen Beschäftigten auf Entlassungen, garantiert nicht stets den gleichen Arbeitsplatz, aber immer das vorher erreichte Lohnniveau. Damit erhält der Staat die Verpflichtung, frei gewordene Arbeitskräfte umzuschulen für einen Non-Profit-Bereich, im Sozialwesen und im Forschungs- und Bildungsbereich.

Besitzer von Unternehmen zahlen sich einen selbst gewählten Unternehmerlohn und verzichten auf Privatentnahmen. So werden die Verhältnisse übersichtlicher. Juristische und natürliche Personen sind eindeutig voneinander getrennt.

Mit einem solchen Grundansatz für die weitere Gestaltung unserer Gesellschaft schaffen wir: Der Markt hat Grenzen bekommen. Er nutzt nicht mehr nur den Stärksten – er nutzt jetzt allen Menschen!
Damit erreichen wir:

  1. Umkehr der Geldumverteilung von arm nach reich
  2. gerechtere Bewertung von Leistung
  3. Schaffung von Binnennachfrage 
  4. Beendigung der Arbeitslosigkeit
  5. Senkung der Wochenarbeitszeit
  6. Sicherheit bei Krankheit und Alter

Wir kehren zurück zu Ludwig Erhards Losung der „Sozialen Marktwirtschaft“: Wohlstand für alle!

Die größte Auswirkung dieses Modells geschieht auf dem Finanzmarkt. Was würde aus den Spekulationen, die Gewinne allein aus Kauf und Verkauf von Wertpapieren erzielen? Wenn diese Transaktionen nur 70% Erlös netto einbrächten? Diese „Beruhigung“ der Börse, die der Aktie zugute käme, würde den Prozess der Kapitalvermehrung ohne produktive Arbeit, allein aus Kapitalvermögen, zunächst enorm vermindern, wenn nicht in der folgenden zu erwartender Dynamik vielleicht ganz stoppen.

Wir haben jetzt unsere ersten Ziele formuliert. Dazu bedarf es neuer Gesetze, weniger, einfacher Gesetze, die den jetzigen Gesetzesdschungel ersetzen. Abgeordnete müssen sie beschließen. Werden unsere heutigen Abgeordneten das tun? Reicht ihre Einsicht in die Notwendigkeit solchen Handelns für diese weit reichenden Veränderungen? Das muss die Praxis zeigen. Es kann notwendig werden, neue Wahlgesetze zu beschließen. Eines aber sollte sofort geschehen: Volksentscheide müssen eine höhere Bedeutung bekommen als jetzt. Und sie stehen über den Entscheidungen der Parlamente.

Die historisch gewachsenen Riesenvermögen sind nach solchen Veränderungen nicht angetastet. Allein die Vermögenssteuer soll hier für eine langsame Umverteilung von „Reich“ nach „Arm“ sorgen. Sie sollte erst ab der 20fachen Größe eines durchschnittlichen Vermögens wirksam werden und so gestaltet sein, dass ein langsames „Abschmelzen“ keinen Verlust der erreichten Lebensqualität bedeutet. Es muss sich erst zeigen, ob dies ausreicht, den sozialen Frieden der Gesellschaft, den „Wohlstand für alle“ zu sichern. Denn: „...Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ (Artikel 14(2) Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland) Mit dem folgenden Artikel 15 des Grundgesetzes (dem „Sozialisierungsartikel“) hat der Staat Möglichkeiten, Eigentümern Konsequenzen anzudrohen und auszuführen, wenn deren Einsicht den gesellschaftlichen Notwendigkeiten nicht gewachsen ist. 

Wir haben die Rahmenbedingungen für unsere Gesellschaft beschrieben, die politische Struktur angedeutet. In der Arbeitswelt muss sich noch vieles ändern, damit die Menschen wieder zufrieden, nicht frustriert in die Betriebe gehen, sich einig fühlen mit ihrem Unternehmen, glücklich werden können mit ihrer Familie. Der Markt kann nicht herhalten als Begründung für alle möglichen Herabwürdigungen der Arbeitenden (und der Arbeitslosen).

Der Markt – ist das nicht die verschämte Umschreibung für: „... was der Käufer hergibt?“ Kann der Preis dem Auto angemessen sein, wenn es in dem einen Land mehr, im anderen Land weniger kostet, weil man, wie der „Marketingexperte“ erklärt: „... in einem Niedrigpreisland keine so hohen Preise verlangen könne ...“ Er entschuldigt sich für den niedrigen Preis, nicht für den hohen! Wo ist der angemessene Preis? Wo bleibt Fairness? Wird sie dem „sharehoulder value“ geopfert, dem „Wohlergehen der Anteilseigner“? Ist das kein Verstoß gegen das Grundgesetz (Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.)? Nach dem Grundgesetz hat Eigentum, das Unternehmen, zu dienen:

  1. dem Eigentümer (sharehoulder value),
  2. dem Mitarbeiter (dem Arbeitnehmer),
  3. dem Kunden (dem Konsumenten).

Geschieht das nicht, fehlt eines, wäre der Begriff „Allgemeinheit“ sinnlos.
 
Konflikte belasten unsere Gesellschaft, die gar nicht nötig sind. Will der Mensch nicht in seinem Unternehmen gut arbeiten, damit es ihm und seinem Unternehmen gut geht? Er will es schon, aber als „funktionierendes Humankapital“ kann er das nicht. Er muss Vorschriften einhalten, Fehler vermeiden, darf Weisungen seines Vorgesetzten ausführen und muss gehen, wenn er Fehler macht, „aufmüpfig“ ist, nicht mehr gebraucht wird. Er müsste als „Mitarbeiter“ anerkannt und nicht nur so genannt werden! Dazu sollte er in Augenhöhe mit seinem Unternehmen stehen, seine Ideen einbringen können ohne Gefahr, dadurch seinen eigenen Arbeitsplatz „wegzurationalisieren“. Die heutige Arbeitswelt kennt kaum „Mitarbeiter“, nur funktionierende Rädchen im Getriebe. Der Mensch lässt sich aber so nicht behandeln. Also braucht er Interessenvertreter, Gewerkschaften, die ihn im Konflikt führen und vertreten – in Konflikten, die nicht zu sein brauchten, wäre die Einstellung der „Manager“ zu seinem „Humankapital“ die eines Unternehmers zu seinem Mitarbeiter.

Es hat sie schon immer gegeben, Unternehmer, die ihre Beschäftigten als Menschen achteten. In Augsburg existiert die „Fuggerstadt“. In dieser zahlt man heute noch eine Miete, wie sie zu Fuggers Zeiten im Mittelalter üblich war. Krupp und Zeiß bauten Wohnungen für Arbeiter ihrer Betriebe. In Schwaben gibt es heute einen Unternehmer, der feiert mit seiner Belegschaft Feste und sagt von sich: „Ich bin der erste Diener meines Unternehmens.“ Dieses Unternehmen sichert seine Mitarbeiter, vergibt Ausbildungsverträge zuerst an deren Kinder.

Wir sagen, wir leben in einer Demokratie. Die Familie Quandt, Großaktionär bei BMW, spendet für alle im Bundestag vertretenen Parteien – außer für „DIE LINKE“. Das tun alle Großaktionäre. Wen wundert es da, dass verschiedene Parteien in der Regierung nur verschiedene Nuancen in der Politik dieser Regierungen hervor bringen? Unsere Demokratie ist in Wahrheit eine Lobbykratie. Zu einer Demokratie müssen wir sie erst noch machen!

Wie soll das gehen? Wir müssen den Dschungel beseitigen, in der die Lobbys ihr Werk betreiben können. Unsere Gesellschaft muss durchschaubar werden für Otto Normalverbraucher! Dann hat die Lobby keine Chance.

Kommen wir mit diesem „revolutionären“ Denken nicht in die „Vorhand“, kommt uns die Natur zuvor. Denn die Denkgesetze der alten Griechen wirken in der gesamten Natur und Gesellschaft, auch ohne unser Wissen und Zutun. Aber dann sind wir Objekte und nicht Subjekte der Geschichte. Das möchten wir vermeiden zum Wohle unserer Kinder und Enkel.

Einnahmen des Staates, wie der Betriebe, bleiben konstanter als heute. Die Betriebe benötigen keine „Kampfreserve an Geld“ mehr, um sich gegen Spekulationen am Finanzmarkt zu wappnen. Sie können damit langfristiger umgehen. Damit wird eine weitere „heilige Kuh“ geschlachtet: Wachstum ist für die Existenz der Betriebe nicht mehr unbedingt vonnöten. Folglich kann Geld im sogenannten „Non-Profit-Bereich“ investiert werden: Im Mäzenatentum von Betrieben (oft als Sponsoring bezeichnet), Betriebskindergärten z.B., oder andere Erleichterungen für die Mitarbeiter – auch in die Verkürzung der Arbeitszeit!

Es ist klug im Sinne der Wirtschaftskapitäne, auf einen Teil nicht gebrauchten Reichtums zu Gunsten der Ärmsten zu verzichten. Denn: Ob ein Superreicher 20 oder 40 Millionen besitzt, schafft keinen Unterschied mehr in seiner Lebensqualität. Also gebe man es ohne Sorge an die Benachteiligten der Gesellschaft. „Autos können keine Autos kaufen“, sagte schon Henry Ford.

Die größten Arbeitgeber im „Non-Profit-Bereich“ wären Staat und die (eine) Krankenkasse. Das Gesundheitswesen würde entlastet vom Druck des heutigen Konkurrenzkampfes der Kassen. Es stände bedeutend stärker da im Preiskrieg gegen die Pharmakonzerne. Das dient den Patienten. 

Natürlich wird es nicht ohne Konflikte gehen, wollen wir dieses Konzept durchsetzen. Als erstes werden sich die Lobbyisten dagegen stellen. Steuerberater werden zu großen Teilen überflüssig. Doch in beiden Gruppen sind Fachleute. Die anspringende Konjunktur wird neue, qualifizierte Arbeitsplätze schaffen – also: Mobil sein, wie viele Menschen aus dem Osten es heute schon sind. Dann löst sich dieser Konflikt.

Wir erinnern das heutige Management an seine Einsicht. So zu handeln, aus „Humankapital“ gesicherte Mitarbeiter zu schaffen, wird die Produktivität der Unternehmen erhöhen, ist im Sinne globaler Wettbewerbsfähigkeit. (Bei „Toyota“ leisten Vorschläge von echten Mitarbeiten viel für den technischen Fortschritt.)  

Wir streben nach Menschenwürde. Sie darf nicht im Neoliberalismus untergehen, weil heute Besitz von Geld über Gebühr Freiheit und Menschenwürde dominiert.

Und wir fordern Solidarität. Wir fordern sie von allen ein, zuerst von denjenigen, denen sie am leichtesten fällt: Den Superreichen. Ihr Verständnis für das Gemeinwesen wäre ihre klaglose Zustimmung zu diesem Text und der Wiedereinführung der Vermögenssteuer für natürliche Personen.

Ist diese Alternative nicht beste abendländische Tradition aus Christentum und Humanismus?

Es kann nur eine breite Volksbewegung Träger des Kampfes um solche Ziele sein. Ihre potentiellen Mitglieder sind alle Menschen, die nicht bewusste Helfer der Lobby sind. Das umfasst auch Kleinunternehmer und Mittelständler bis hin zu Unternehmerverbänden, auch Unternehmerkreise, die als Zulieferer von großen Konzernen in aussaugende Beziehungen gezwungen und damit „entreichert“ werden. Das Bewusstsein für diese Tatsache ist bei diesen Mittelständlern kaum ausgeprägt und (wenn überhaupt vorhanden) schwindet es, je mehr der Zulieferer dem großen Konzern verbunden ist.

Diese breite Volksbewegung muss erst noch entstehen. 

In unserer globalisierten Welt müssen diese Bedingungen zumindest für unser Europa durchgesetzt werden. Vor dieser Notwendigkeit sollte uns nicht bange sein. Die Menschen, die dazu fähig sind, denken ähnlich von Portugal bis Polen.

Nun, da wir eine Vision entwickelt haben, wie unsere Gesellschaft aussehen sollte, die allen ihren Bürgern Freiheit, Menschenwürde, Solidarität garantieren kann, ist es Zeit, sie zu benennen:

Wir vollenden den Ausbau der Bundesrepublik Deutschland, die in ihrem Grundgesetz Artikel 20(1) verlangt: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ Es ist nichts weiter als die Demokratie, die wir mit diesen Zielen perfektionieren. Demokratie heißt Volksherrschaft. Allein sie ist in der Lage, unser Leben auf diesem Planeten zu sichern.

Was wäre die erste Aufgabe auf dem Weg zu dieser Veränderung unserer Gesellschaft? Ein neues Steuersystem schaffen nach diesen Vorgaben. Technokratisch ist das leicht zu bewältigen.

Und weiter?

Diese Maßnahmen wären erste Schritte. Die Entwicklung ist immer nach vorn offen. Die Grundlage des heutigen Zustandes der Gesellschaft wurde mit der Renaissance gelegt. Die Fugger und Rothschilds des ausgehenden Mittelalters und der beginnenden Neuzeit beseitigten im Geldwesen das bis zu diesem Zeitpunkt geltende Zinsverbot in der Christenheit. Wenn die angesprochenen Veränderungen dauerhaft und entwicklungsfähig, „unumkehrbar“ gemacht werden sollen, sind weitere Schritte nötig. Der nächste wäre, dieses Zinssystem zu ändern. Denn Zins und Zinseszins sind eine verkappte Form der Aneignung von Mehrwert. Mehrwert erarbeitet allein der Erzeuger von Produkten (dabei ist gleichgültig, ob dies materiell oder geistig geschieht). Bestehendes Geldvermögen ist durch seine bloße Existenz in einem Zins- und Zinseszinssystem in der Lage, leistungslos zu wachsen. Diese schreiende Ungerechtigkeit (eigentlich Diebstahl) muss durch die Beseitigung des heute existierenden Geldsystems verhindert werden. Sonst ist ein Mensch mit großem Geldvermögen immer in der Lage, über „Lobbyarbeit“ (besser Bestechung und Korruption) ihm nicht genehme Machtverhältnisse wieder zu kippen. Die Abschaffung dieses Zinssystems sollte in Schritten geschehen. Zu sehr sind die Menschen unserer Zeit und diese Ungerechtigkeit des Zinses gewöhnt, sodass ein sofortiges Anschaffen im Chaos enden würde.

Im Verlaufe dieses Prozesses muss weiterhin der größte Schwerpunkt auf die Verbesserung und Veränderung der heutigen Bildungseinrichtungen gelegt werden. Es sind wieder die Themen und Fächer in die Schulen und Universitäten aufzunehmen, welche einer humanistischen Grundausbildung dienen. Das sind zunächst Verhaltensweisen, die auf der Achtung des anderen Menschen, dem Verständnis des Nachbarn, der Gemeinschaft basieren. In volkstümlicher Mundart ausgedrückt, charakterisiert das ein altes Sprichwort: „Ein Mann ohne Pflicht – ein Wicht, ein Mann ohne Recht – ein Knecht. Ein Mann mit Pflichten und Rechten – einer von den Echten.“ Hier sind die Pflichten gegenüber einer Gemeinschaft gemeint: dem Ehepartner, der Familie, dem Ort (der Gemeinde), dem Staat. Die „individuelle Selbstverwirklichung des Einzelnen“, welche heute über allen Werten steht, ist zu brandmarken als das, wozu sie heute missbraucht wird: als hemmungslosen Egoismus auf dem Weg zum „Recht des Stärkeren“. Das heißt nicht, dass Streben nach besten Leistungen schlecht und seine Anerkennung nicht gewünscht wird. Aber zwischen der Pflichterfüllung für die Gesellschaft und der Würdigung der Einzelleistung muss wieder ein vernünftiges Maß hergestellt werden. Hier haben auch religiöse Gruppen ein breites Betätigungsfeld.

Bei der Fachausbildung in Schulen und Universitäten sind wieder Grundfächer in den Vordergrund zu stellen. Das sind Philosophie und Naturwissenschaften. In den allgemeinbildenden Schulen kann es aus diesem Grund auch keine Wahlmöglichkeit geben. Wo die Trennung anfängt, kann nicht der individuelle Wunsch des Einzelnen sein, sondern können nur die gesellschaftlichen Anforderungen entscheiden. Es ist auch völlig unsinnig, einen Länderwettstreit darüber entscheiden zu lassen, welches Bildungssystem das bessere sei. Eine solche föderalistische Auffassung im Bildungswesen widerspricht den heute üblichen Anforderungen an die Eltern zur Mobilität im Beruf und damit auch Wohnort. Bildung muss aus diesem Grunde eine zentrale Aufgabe sein und sollte sich in einem geeinten Europa allein am Sprachraum orientieren.

Unser Demokratieverständnis müsste völlig neu gestaltet werden. Volksentscheide sollten viel weiter gefasst werden und für Parlamente bindenden und nicht empfehlenden Charakter haben. In jedem Verein hat die Mitgliederversammlung mehr Rechte als der Vorstand allein – und jeder findet das vernünftig. Parteien müssen wieder in ihre Rolle als Unterstützer von Kandidaten der Wähler zurückgedrängt werden. Kandidaten sollten gewählt werden, aber keine Parteien. Das Verhältniswahlrecht hat sich als Wegbereiter für die heutige Lobbyrolle von Parteien erwiesen und deshalb keine Existenzberechtigung mehr. Es gibt Vorbilder in der Welt, welche wir beachten sollten. Da ist besonders die Schweiz zu nennen mit allen Formen ihrer direkten Demokratie.

Und was wird mit der Vergesellschaftung der Produktionsmittel, von denen Karl Marx sprach? So, wie es Sowjetunion und „sozialistisches Lager“ praktiziert haben, führt es nicht zum Ergebnis. Die Gesellschaft wird ausprobieren müssen, wie es gehen könnte. Genossenschaften scheinen eine Möglichkeit des ersten Schritts zu sein. Doch – schauen wir noch nicht zu weit voraus. Was hier angedacht ist, wären erste Schritte, die schwer genug sind, durchgesetzt zu werden. Gehen wir diese – und sehen dann weiter.   

26.07.2010

 

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